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50 Jahre Elysée-Vertrag

Rede von Axel Schäfer  im Plenum zur Debatte „50 Jahre  Elysée-Vertrag – Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung für die  Zukunft Europas“ am 16. Januar:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind in diesem Parlament geteilt, nämlich in fünf verschiedene Fraktionen, richtigerweise; wir sind aber auch vereint in vielen gemeinsamen Überzeugungen. Gerade heute sollte Anlass sein, dieses deutlich zu machen. Dass wir alle miteinander die deutsch französische Verständigung, besser gesagt die deutsch-französische Freundschaft, als unverrückbare Grundlage unserer eigenen Politik verstehen, ist einer der ganz großen Erfolge der Politik der letzten 50 Jahre. Dann gehört es sich auch für einen Sozialdemokraten, einen Christdemokraten wie Konrad Adenauer ausdrücklich zu loben. Auch das sollte in diesem Hause selbstverständlich sein.

Da wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind, kommt es gerade auch heute darauf an, auf wichtige parlamentarische Entwicklungen, die etwas mit Deutschland, Frankreich und Europa zu tun haben, noch einmal ausdrücklich hinzuweisen.
Erstens: Wir, das heißt unsere Vorgängerinnen und Vorgänger, haben es nach vielen Debatten im Deutschen Bundestag – und das war sicherlich auch unter den Kolleginnen und Kollegen der Assemblée nationale streitig – auf Basis einer Initiative des sozialdemokratischen Kanzlers Helmut Schmidt und des französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing hinbekommen, dass erstmals ein Parlament über Ländergrenzen hinaus direkt gewählt wird, nämlich 1979 das Europäische Parlament. Das war eine Jahrhundertentscheidung für die parlamentarische Demokratie, und die hat etwas mit dieser sehr intensiven, vertrauensvollen Zusammenarbeit – auch auf parlamentarischer Ebene – mit Deutschland und Frankreich zu tun. Das sollten wir gerade an diesem Tag noch einmal unterstreichen.

Wir sollten auf ein Zweites hinweisen, weil auch das zu oft vergessen wird: Die Realisierung der deutschen Vereinigung – das heißt, der rechtliche Akt, wie die DDR der Bundesrepublik beigetreten ist – war nur möglich, weil in Europa ein kluger und solidarischer Kommissionspräsident, der französische Sozialist Jacques Delors, zusammen mit dem Europäischen Parlament ein Verfahren gewählt hat – es war eine dänische Kollegin, die das dann organisiert hat –, das keine jahrelangen Beitrittsverhandlungen über die Integration voraussetzte, die wir sonst hätten führen müssen und die uns ungeheure rechtliche Schwierigkeiten bereitet hätte. Dadurch ist die Wiedervereinigung auf sehr sanfte, vor allen Dingen auf sehr zügige und sehr auf Gemeinschaft angelegte Weise möglich geworden. Das war für die deutsche Wiedervereinigung 1990 eine ganz wichtige Voraussetzung. Gleichzeitig war es eine ganz wichtige Aussage, dass auch Kolleginnen und Kollegen aus der früheren DDR, vom Bundestag entsandt, ins Europäische Parlament kamen. Das war ein Novum in der parlamentarischen Demokratie und auch ein Ausdruck der deutsch-französischen Zusammenarbeit zwischen den Ländern und im Parlament.

Drittens. Wir müssen uns jetzt, wo die staatliche und die institutionelle Zusammenarbeit außer Frage steht, selbstkritisch fragen, wie wir die parlamentarische und auch die parteipolitische Zusammenarbeit verbessern können, weil das das Fundament ist, auf das wir die nächsten Jahrzehnte gründen. Wir haben gelernt, dass es gut ist, sich auf deutsch-französischer Ebene zu verständigen. Christdemokraten haben gelernt, sich mit den jeweiligen Parteiformationen zusammen- und auseinanderzusetzen. Das gilt für die Liberalen in Frankreich sicherlich genauso. Ich fand es gut, dass die Grünen in Person von Daniel Cohn-Bendit ausprobiert haben, wie es ist, wenn man sowohl in Deutschland als auch in Frankreich kandidiert; das war ganz wichtig. Ich fand es auch wichtig, dass die Linkspartei bei einer Reihe von Problemen Resolutionen gemeinsam mit ihren französischen Bruder- und Schwesterorganisationen vorgelegt hat. Natürlich können Sie nicht erwarten, dass ich diesen immer zustimme.

Aber es ist wichtig, dass man so etwas praktiziert. Ich erinnere daran, dass wahrscheinlich das erste gemeinsame parlamentarische Gesetzgebungsprojekt in Europa hier im Deutschen Bundestag 2011 gestartet worden ist. Das war die Gesetzgebungsinitiative der SPD zur Finanztransaktionsteuer, die am selben Tag von der Parti socialiste in der Assemblée nationale gestartet wurde. Ich bin froh, dass wir nach dieser Initiative und dem Regierungswechsel in Frankreich das auch praktisch vorangebracht haben. Das zeigt die deutsch-französischen und auch die europäischen Gemeinsamkeiten.

Viertens. Unabhängig von meiner parteipolitischen Präferenz wünsche ich mir, dass alle hier im Saal die Möglichkeiten nutzen, die Beziehungen zu Frankreich über Städtepartnerschaften hinaus auszubauen. Für mich war es eine außergewöhnliche Erfahrung, im letzten Jahr im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich aufzutreten. Man ist dann auch gezwungen, seine Französischkenntnisse zu aktivieren und einiges neu zu erlernen; das war wichtig. Das haben Frank Steinmeier, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel, Martin Schulz und andere Abgeordnete der SPD ebenfalls gemacht. Ich appelliere an die anderen Parteien und Fraktionen, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Denn das macht deutlich: Ja, wir sind Deutsche und Franzosen, aber wir gehören in Europa zu verschiedenen Parteifamilien. – Das führt zur Festigung des Fundaments, oder, wie es der bedeutende Franzose Jean Monnet gesagt hat: Es geht immer um die Solidarität der Tat. – Das sollten wir jeden Tag aufs Neue praktizieren.

Vielen Dank!