Rede von Axel Schäfer zur Novellierung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein besonderer Tag für unser Parlament, und zwar aus vier Gründen:
Der erste Punkt ist: Es geht um das Selbstverständnis unseres Hauses. Unser Selbstverständnis lautet: Wir wollen und wir müssen und wir werden parlamentarische Rechte gemeinsam wahrnehmen. Zu diesem Zweck sind wir auch in der Lage, über Fraktionsgrenzen, über die Konstellation von Regierung und Opposition hinauszugehen. „Denken“ heißt auch immer „überschreiten“. Wir haben das überschritten, indem wir es geschafft haben, dass ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP, CDU/CSU, Grünen, Linken und SPD vorgelegt wurde. Das ist nicht nur ein Wert für uns; das ist auch ein Wert an sich für die parlamentarische Demokratie. Darauf sollten wir in diesem Hause gemeinsam stolz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das ist auch ein Beispiel dafür, dass Gesetzgebung allein durch Parlamentarierinnen und Parlamentarier möglich ist – das heißt, es gab nicht irgendwelche Vorlagen, die uns die Regierung oder wer auch immer geschrieben hat – und dass wir in der Lage sind, Sachkompromisse zu finden. Das ist ganz besonders wichtig: Sachkompromisse zu finden. Jetzt möchte ich etwas machen, was im Parlament sehr oft vergessen wird, nämlich mich einmal bei denen bedanken – an dieser Stelle muss ich in mein Manuskript gucken –, die für das Zustandekommen eine wichtige Arbeit geleistet haben, nämlich bei unseren Referentinnen und Referenten, die uns wirklich ausgezeichnet unterstützt haben. Namentlich sind zu nennen: Paul Göttke von der CDU, Dr. Fabian Schulz von der SPD, Jakob Redl von den Grünen, Jens Lorentz von der FDP und Janeta Mileva von der Linkspartei. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle!
Es wird ja sehr oft vergessen, aber wer sich mit europäischen Zusammenhängen beschäftigt, erlebt das jeden Tag: Unser Deutscher Bundestag ist deshalb so stark und kann sich in einzelnen Fragen so stark machen, weil er das bestausgestattete Parlament in der EU ist, und zwar hinsichtlich unserer Strukturen und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das kommt hinzu. Auch darauf müssen wir achten und dürfen nicht nur das im Blick haben, was wir selbst machen und können.
Der zweite Punkt nach dem Selbstverständnis ist die Selbstkritik. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nicht allein aus unseren Erkenntnissen und guten Ideen entstanden, sondern auch aus schlechten Erfahrungen, respektive einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, etwas zu tun. Das ist schon eine klare Ohrfeige für die Haltung der Regierung, die uns weismachen wollte, ESM und andere wichtige Verträge wären keine europäischen Angelegenheiten, weil sie in den europäischen Verträgen gemeinschaftlich nicht vorkommen. Das war falsch. Dass uns erst ein Gericht darüber belehren musste, sollte – so richtig und wichtig es war – in Zukunft nicht mehr notwendig sein. Wir sollten schon Manns und Frau genug sein, gemeinsam darauf zu kommen, und zwar egal, in welchen Regierungs- und Oppositionskonstellationen wir uns befinden.
Es gehört auch dazu, zu sagen: Jawohl, die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben geklagt. Zum einen Glückwunsch, dass sie es gemacht haben, zum anderen Glückwunsch, dass dies zum Erfolg für uns alle geführt hat. Vielen Dank!
Der dritte Punkt: Aus dieser Erfahrung muss eine Selbstverpflichtung für das ganze Haus entstehen. Selbstverpflichtung heißt, dass wir in Zukunft die Dinge, die wir von der Regierung erwarten und die wir auch kontrollieren, immer zu unserer eigenen Sache machen. Das heißt, dass wir uns auf der Grundlage der Informationen und der Berichte, die uns vorliegen, selbst zu mehr Stellungnahmen dieses Hauses verpflichten. Die entsprechenden Diskussionen müssen nicht immer nur an Fraktions- oder Koalitionsgrenzen entlang verlaufen. Wir müssen darüber hinaus überlegen, ob wir gemäß Art. 45 Grundgesetz dem Europaausschuss häufiger die Möglichkeit einräumen, die Rechte des Bundestages wahrzunehmen; Stichwort: plenarersetzende Beschlüsse. Auch das ist ein wichtiger Punkt, der leider sehr oft vergessen wird.
Es gehört aus meiner Sicht auch dazu, zu überlegen, ob wir auf der Grundlage des Art. 45 Grundgesetz einen neuen Querschnitts- oder Unterausschuss schaffen, um das zu erreichen, was bei der Änderung des Grundgesetzes vor über 20 Jahren noch nicht bedacht wurde, nämlich neue parlamentarische Möglichkeiten der Kontrolle bei Entscheidungen im Bereich der Finanzen und der Wirtschaft in der EU zu schaffen. Es reicht ja nicht, dass wir uns immer über Zuständigkeiten – Unterrichtungen etc. – streiten, also sozusagen über die innere Architektur. Vielmehr kommt es auch auf die gemeinsame Handlungsfähigkeit nach außen an.
Dazu gehört auch – die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Frau Merkel von der SPD, hat dies schon zu Recht eingefordert –, dass wir uns dafür einsetzen müssen, dass das Kalendarium innerhalb der EU zwischen den nationalen Parlamenten und dem EP so ausgestaltet wird, dass wir als Parlamente einmal im Jahr mindestens eine Woche gemeinsam tagen können, um uns zu beraten und zu positionieren. Auch das würde dazu führen, dass wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Europa gemeinsam besser handlungsfähig werden. Das sollten wir uns in diesem Hause überlegen.
Es gibt auch immer Erinnerungen an bestimmte Erfahrungen. Das will ich ganz offen sagen: Zu Zeiten der Großen Koalition haben wir, CDU/CSU und SPD, es hinbekommen, dass sich alle Fraktionen gemeinsam auf die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag in EU-Angelegenheiten verständigt haben. In dieser Legislaturperiode ist der vorliegende Gesetzentwurf übrigens der erste, bei dem das wieder möglich war.
Am Ende, als alles beschlossen war, habe ich den Vorsitzenden meiner Fraktion, den unvergessenen Peter Struck – ein Vollblutparlamentarier –, gefragt: Peter, was sagst du denn zu dem, was wir hier an Beteiligungsrechten für den Bundestag zustande gebracht haben? Er hat mir geantwortet: Axel, ich hätte euch nicht so viel zugestanden. – Wie es der Zufall so will, habe ich an diesem Tag auch den Kollegen Kauder getroffen. Da habe ich mir gedacht: „Na ja, wir sind ja in einer Koalition“, und fragte Herrn Kauder – auch ein Vollblutparlamentarier –: Was sagen Sie denn zu dem, was wir hier für den Bundestag erreicht haben? Daraufhin antwortete er mir: Ich hätte Ihnen nicht so viel zugestanden. – Ich glaube, das ist jetzt sieben Jahre her. Es gibt insgesamt einen Bewusstseinswandel, hoffentlich auch beim Kollegen Kauder, der zu der Einsicht führte: Wir müssen als Parlament in europäischen Angelegenheiten gemeinsam -engagierter sein. Wir sollten nicht nur sagen: Oh, das ist Sache des Europaausschusses. – Es ist Sache des Parlaments insgesamt.
Europa wird nur demokratisch und damit auch parlamentarisch gelingen. Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese neuen Möglichkeiten gemeinsam nutzen und es als Verpflichtung verstehen, andere in unseren eigenen Fraktionen – das soll in allen fünf Fraktionen so sein – davon zu überzeugen. Auch diejenigen, die ab September an der Regierung sind – wir von SPD und Grünen wollen gemeinsam regieren –, sollen sich wirklich daran halten.
Vielen Dank und Glück auf!