Minister gesucht
Nordrhein-Westfalen ist in der SPD ein mächtiger Landesverband – und hat trotzdem kaum Personal für Berlin
Düsseldorf/Berlin – Neulich, beim Parteitag in Leipzig, gab es ein bemerkenswertes sozialdemokratisches Schauspiel zu besichtigen. Verkündet wurden die Ergebnisse der Wahl zum Parteivorstand, erster Wahlgang, durchgekommen waren die Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, samt und sonders. Und der Rest? Schaute in die Röhre.
Die großen Landesverbände hatten sich verbündet, es war eine Machtdemonstration vor allem von NRW und Niedersachsen, das Signal lautete: Ohne uns geht nichts. Und gegen uns schon gar nicht.
Das gilt in der SPD vor allem für NRW. Dort blicken die Genossen auf eine ruhmreiche Vergangenheit, in Dortmund verweisen sie noch heute darauf, dass Herbert Wehner ihre Stadt als „Herzkammer“ der Sozialdemokratie bezeichnete. Doch auch in der Gegenwart ist der Landesverband innerparteilich eine Macht, und das Land regiert man ja wieder. Aber im Bund?
Da fällt derzeit auf, wie schwierig es für Parteichef Sigmar Gabriel ist, die Genossen aus Nordrhein-Westfalen bei der Vergabe von Kabinetts- und sonstigen Posten angemessen zu berücksichtigen. Und das liegt nicht nur daran, dass die anderen so stark wären, etwa die Niedersachsen-Riege: Neben Gabriel selbst gehört dazu der ebenfalls gesetzte Thomas Oppermann, auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wird immer mal wieder dazugerechnet. Es liegt auch daran, dass einem auf Anhieb niemand aus NRW einfällt, der unbedingt Minister werden müsste. Oder?
Die NRW-SPD, das ist in der Außenwahrnehmung erst einmal und vor allem Hannelore Kraft, Landesparteichefin und Ministerpräsidentin. Seit sie in der Staatskanzlei sitzt, wird spekuliert, wann sie wohl nach Berlin wechsle – doch Kraft hat in den vergangenen Wochen immer wieder erzählt, wie wenig sie in die Hauptstadt ziehe. Kanzlerkandidatin, das sei nichts für sie. Und weil ihr das viele nicht geglaubt haben, hat sie am Wochenende noch mal gesagt, dass sie anderes vorhabe im Leben, als Kanzlerin zu werden – und hat ein „nie“ daran gehängt: „Nie“ werde sie sich dafür bewerben, sagte sie. Die Spekulationen dürften allerdings trotzdem weiter gehen.
Das liegt auch an Krafts Amt. Ihre drei Vorgänger als Ministerpräsidenten sind alle nach Berlin gegangen: Wolfgang Clement als Minister für Wirtschaft und Arbeit, Peer Steinbrück als Finanzminister. Johannes Rau, der 1987 als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl verlor, wurde später Bundespräsident. Das Regierungsamt in Düsseldorf war immer die stille Reserve der Partei, wenn es um wichtige Aufgaben ging. Nur bei Kraft scheint das jetzt anders zu sein, sie will auf ihrer Scholle bleiben, der Berliner Politikbetrieb befremdet sie. Inhaltlich hat sie sich eingebracht in den Koalitionsverhandlungen, nun dürfte es in ihrem Interesse sein, jemanden in Berlin zu platzieren, dem sie vertrauen kann, eine Art Statthalter. Doch zum Personal hat sie sich nicht geäußert, sie hat nicht einmal Unverbindliches gesagt wie: Der Landesverband muss beim Personal angemessen vertreten sein mit Ministerposten.
Und da ist man wieder beim Problem: So wenig es Kraft nach Berlin drängt, so wenig drängt sie andere aus ihrer Mannschaft dorthin. Und es drängen sich eben wenig Leute auf aus NRW. Warum eigentlich?
Der Machtverlust 2005 war auch beim Personal ein klarer Schnitt, die Verlierer traten zurück, an den damaligen Landesvorsitzenden Harald Schartau erinnert sich heute kaum noch jemand. Als Kraft 2010 ihr Projekt Minderheitsregierung begann, hatte sie große Probleme, überhaupt genug geeignete Führungskräfte zu finden für ihr Kabinett. Das hat sich mittlerweile etwas geändert, mancher wurde ausgetauscht, andere wuchsen mit den Aufgaben. Verkehrsminister Michael Groschek würden manche zutrauen, das gleiche Amt auch in Berlin zu übernehmen – dann würde er aber in Düsseldorf fehlen, mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass die CSU das Ministerium dafür hergeben müsste.
Kraft will auch deshalb niemanden aus ihrem Landeskabinett in die Hauptstadt schicken, weil die Personaldecke zu Hause noch immer sehr dünn ist. Auch Innenminister Ralf Jäger und Finanzminister Norbert Walter-Borjans wird eine sehr solide Amtsführung bescheinigt. Nur hat Sigmar Gabriel zu erkennen gegeben, dass ihm am Finanzministerium in Berlin offenbar nicht so sehr gelegen ist, Walter-Borjans ist nicht zuletzt deshalb als Oberbürgermeister von Köln im Gespräch. Oberbürgermeister ist auch Frank Baranowski, den viele in Nordrhein-Westfalen für eines der großen politischen Talente halten. Er hat sich dafür entschieden, seine Stadt Gelsenkirchen voran zu bringen. In der Partei geht es für ihn nicht so richtig voran.
Wen gibt es noch? Den Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Dessen Expertise ist unbestritten, in den Koalitionsverhandlungen agierte er pragmatisch. Er ist einer derjenigen, die einem als Ministerkandidaten einfallen. Aber Gabriel braucht neben Generalsekretärin Andrea Nahles und Manuela Schwesig, Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, eine dritte Frau. Und da kommt SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks ins Spiel, die nicht nur eine Frau ist, sondern obendrein aus NRW kommt. Über sie heißt es bloß immer wieder, Gabriel sähe sie nicht allzu gern im Kabinett.
Axel Schäfer hingegen, Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, spricht sich klar für Hendricks als Ministerin aus: „Sie war knapp ein Jahrzehnt Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, seitdem ist sie unsere Schatzmeisterin. So viel Erfahrung im Finanzbereich hat kaum jemand.“
Aber noch mal grundsätzlich: Warum sind ministrable Personen aus NRW so rar? Da sagt Axel Schäfer, es gehe nicht um Nordrhein-Westfalen, sondern um einen allgemeinen Trend: „Bei den Talenten gibt es immer Wellen. Es gab die Generationen Mozart und Beethoven, Goethe und Schiller, in der Politik Brandt, Schmidt, Wehner und auch Strauß, in der Musik gab es die Stones und die Beatles. Jetzt sind wir in der Phase der Normalos.“
Was das heißt? „Das heißt, es sind normale Menschen, die in der Politik gerade Verantwortung tragen. Sie ragen nicht so heraus wie früher andere. Oder sie werden möglicherweise auch nicht so verklärt.“
Und das gilt nur für die SPD?
„Nein“, sagt Schäfer. „Angela Merkel sei das beste Beispiel dafür.“
Wobei die SPD um eine normale Merkel in ihren Reihen wohl ganz froh wäre.