Axel Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und Vizepräsident der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD), empfiehlt allen 28 nationalen Parlamenten und dem Europaparlament eine gemeinsame einwöchige Debatte zu Beginn jedes Jahres. Im EurActiv.de-Interview erläutert er, warum.
EurActiv.de: Herr Schäfer, in vier Monaten sind Europawahlen. Frage an den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag: Wie könnten die Parlamente der EU-Mitgliedsländer künftig besser zusammenarbeiten?
SCHÄFER: Meine Idee für eine Innovation wäre, die nationalen Parlamente und das EU-Parlament auf neue Weise miteinander zu verzahnen. Ganz pragmatisch: Wir wollen, dass sich zu Beginn eines Jahres alle Parlamente der EU-Staaten darauf verständigen, eine ganze Woche frei zu halten. In dieser Zeit sollen weder nationale Volksvertretungen noch das Europäische Parlament tagen, sondern Delegationen aus allen Parlamenten zusammenkommen. Das könnte entweder in Brüssel sein, wo die Infrastruktur bereits vorhanden ist, oder in demjenigen Land, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat.
EurActiv.de: Und was sollten die Parlamentarier in dieser einen Woche machen?
SCHÄFER: Drei Dinge sind besonders wichtig: Erstens: Sie sollen sich als Fraktionen über alle Ländergrenzen hinweg zu Parteifamilien zusammenfinden und sich fragen: Wie gestalten wir eigentlich christdemokratische, liberale, grüne oder sozialdemokratische Politik in der EU?
Zweitens schlage ich vor, dass sie auf der Ebene der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments einen strukturierten Meinungsaustausch betreiben: Was gibt es an Inhalten in unserer Arbeit, die auch für andere wichtig sind? Was sollten sie voneinander wissen? Wie ticken sie? Welche aktuellen Fragen von hohem europäischen Stellenwert –wie zum Beispiel im Energiebereich – können sie aufnehmen?
Es geht um Austausch, Vernetzung und Koordinierung unter den Parlamentarieren, um das Kennenlernen von Best practice-Beispielen und auch um das Verabreden gemeinsamer Vorgehensweisen.
Dritter Punkt wäre, dass von dieser Konferenz der Parlamente in EU-weiten Fragen auch Initiativen ausgehen, damit das EP selbst Vorschläge macht oder die Kommission auffordert, tätig zu werden.
Der Charme dieser Idee liegt darin, dass hier keine Verträge geändert werden müssen und kein großes Prozedere mit Ratifizierungen in allen Mitgliedsstaaten notwendig wird. Vielmehr reicht eine einfache Übereinkunft, wie sie Parlamente immer treffen können. Politisch führt das dazu, dass Anregungen und Initiativen vom Europäischen Parlament aufgegriffen werden. Konkretes Beispiel: Bei bestimmten Klimazielen können EU-Abgeordnete die Kommission auffordern, gesetzgeberisch tätig zu werden. Und zwar nur auf Grund der politischen Debatte, getragen von Überzeugungen und vom gemeinsamen Willen, etwas voranzubringen. Das erfordert weder formale Beschlüsse noch gesetzliche Regelungen oder gar Verfassungsänderungen.
EurActiv.de: Es existieren aber schon einige interparlamentarischen Foren.
SCHÄFER: Alle bereits existierenden interparlamentarischen Formate wie zum Beispiel die Konferenz der Parlamentspräsidenten oder die Treffen der Europaausschüsse COSAC finden öffentlich kaum Beachtung und sind oft nicht sehr bedeutungsvoll.
Aber hier hätten wir ein neues Forum, eine Art Gesamtschau, wo die Parlamentarier selbst öffentlich reden können, wenn nötig auch konfrontativ, damit das nie zu langweiligen Pflichtveranstaltungen verkommt. Und weil es eine „weiße Woche“, eine sitzungsfreie Zeit ist, in der kein Parlament tagt, soll kein Abgeordneter sagen können, er sei in „seiner Hauptstadt“ gerade unabkömmlich und könne nicht teilnehmen.
Beschlüsse könnte es also nur im Sinne der Übereinstimmung geben, die sich an das Europaparlament richtet, aber nicht in Form einer Bindungswirkung, der 28 Parlamente gegenüber dem EU-Parlament. Das ginge rechtlich nicht und würde auch politisch auf Unwillen stoßen.
EurActiv.de: Wer sollte dabei die Funktion des Einladenden übernehmen?
SCHÄFER: Logisch wäre es, wenn immer der Präsident des Europäischen Parlaments mit dem Parlamentspräsidenten einlädt, dessen Land aktuell die Ratspräsidentschaft innehat. Aber ich kenne auch bestimmte Empfindlichkeiten und die Wichtigkeit von nationalen Parlamentspräsidenten. Diese muss man so einbeziehen, dass sie nicht den Eindruck haben, Vorschriften gemacht zu bekommen.
EurActiv.de: Kann diese Konferenz nicht zur Konkurrenz zu den bestehenden Parlamenten werden?
SCHÄFER: Das wäre ein Missverständnis. Niemandem wird etwas weggenommen, niemand wird ausgegrenzt. Weder das Europäische Parlament noch die nationalen Parlamente sollen Kompetenzen abgeben. Hier geht es um intensivierte, strukturierte, kontinuierliche Zusammenarbeit und nicht um das Einziehen einer neuen parlamentarischen Ebene.
EurActiv.de: Was war denn Ihre Motivation für dieses Projekt?
SCHÄFER: Wir haben auf der europäischen Ebene eine Regelungsdichte erreicht, die man sich vor wenigen Jahren noch nicht hätte vorstellen können. Dazu kamen noch die Erfahrungen der Krise. Jetzt sehen wir, dass Parlamente viel stärker und effizienter zusammenarbeiten müssen. So können die Volksvertretungen in Europa eine wichtige neue Facette bekommen. Denn wir erleben, dass die Regierungen gegenüber den Parlamenten der dominiertende Faktor geworden bzw. geblieben sind.
EurActiv.de: Haben Sie Ihre Idee nicht auf dem Europa-Parteitag der SPD am vergangenen Sonntag vorgestellt?
SCHÄFER: Die Idee wäre auf dem Parteitag ein Thema gewesen, wenn nicht zwei Stunden Verspätung dazu geführt hätten, dass die Debattenbeiträge sehr kurz gehalten werden mussten.
EurActiv.de: Weil die Reden von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und SPD-Chef Sigmar Gabriel viel zu lang waren?
SCHÄFER: (lacht) Das muss ich offiziell zurückweisen. Aber inoffiziell haben Sie Recht.
Interview: Ewald König