Europa

Europa ist zu einer der zentralen Handlungsebenen deutscher Politik geworden und ein roter Faden, der sich durch mein gesamtes politisches Leben zieht.

In der Präambel unseres Grundgesetzes wurde bereits 1948/49 klug und weitsichtig das Staatsziel definiert, nach dem Deutschland „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ hat.

Dieser Anspruch basiert auch auf einem Gründungsdokument der Sozialdemokratie, das schon im Jahre 1866 verabschiedet wurde: Im Wahlprogramm des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ist die Forderung nach „deutscher Einheit (…) als ein Anfang des solidarischen, europäischen Staates“ enthalten – für lange Zeit einzigartig im Parteienspektrum unseres Landes.

Die Europäische Gemeinschaft, heute Europäische Union, ist seit 1951 der erste und einzige Staatenverbund weltweit. Zusammenarbeit und Zusammenschluss sind die Basis für gesicherten Frieden, Arbeit und Wirtschaft mit eigener Rechtsordnung und einer gemeinsamen Währung. Im Prozess einer fortschreitenden Integration steht die EU allen europäischen Staaten offen, die sich den Zielen und Werten der Gemeinschaft in Recht und Praxis verpflichten. In mehreren Beitrittsrunden ist die Zahl der Mitgliedsstaaten von ursprünglich 6 auf nunmehr 28 angestiegen. Damit konnte auch die Spaltung des Kontinents überwunden werden. Das direkt gewählte Parlament, die Kommission/Regierung, der Ministerrat als Vertretung der Staaten sowie ein Gerichtshof und ein Rechnungshof bilden das Fundament eines Staatswesens sui generis.

Die EU gründet sich auf völkerrechtliche Verträge, die Staaten miteinander geschlossen haben und in denen sie ihre Souveränität durch gemeinsame Institutionen teilen und ausüben. Die ausschließliche Zuständigkeit Europas ist auf Handel, Geld, Wettbewerb, Zoll und biologische Meeresschätze beschränkt. Die EU teilt ihre Zuständigkeit mit den 28 ihr angehörenden Staaten vor allem in den Bereichen Binnenmarkt, sozialpolitische Aspekte, wirtschaftlicher Zusammenhalt, Agrar, Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr, Energie sowie im Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts. Dazu kommen unterstützende Maßnahmen bei Forschung, Technologie, Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe.

Darüber hinaus koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der EU. Das gilt ebenso für Maßnahmen der Beschäftigungspolitik und Initiativen der Sozialpolitik. Eine ergänzende europäische Zuständigkeit gibt es in den Sektoren Industrie, Kultur, Tourismus, allgemeine berufliche Bildung, Jugend sowie Sport.

In Deutschland besteht seit Anfang der 60er Jahre zwischen SPD, CDU/CSU und FDP, seit Beginn der 80er Jahre dann zusätzlich mit den Grünen, eine generelle Übereinstimmung beim europäischen Integrationsprozess („Verfassungsbogen Europa“). Dies hat bei den seither stattgefundenen sechs Regierungs- bzw. Koalitionswechseln (1961, 1966, 1969, 1982, 1998 und 2005) zu einem hohen Maß an europapolitischer Kontinuität geführt.

Über 120 der wichtigsten Verbände und Organisationen in Deutschland, die zusammen über 100 Millionen Mitglieder zählen (Kirchen, Deutscher Olympischer Sportbund, Gewerkschaften, Wirtschaftsvereinigungen, Bildungsträger etc.), bilden gemeinsam mit den o.a. Parteien die europaorientierte Zivilgesellschaft, die seit 1949 der Europäischen Bewegung Deutschland angehören. Zu diesem „Verband der Verbände“ gehören auch die Europäischen Föderalisten in der Europa-Union Deutschland.

Im Grundsatzprogramm der SPD wird unsere Vorstellung von Europa wie folgt beschrieben:

Schon 1925 setzte sich die Sozialdemokratie mit der Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa für die europäische Einheit ein. Was damals unerreichbar schien, ist heute Wirklichkeit: Die europäische Einigung nach zwei Weltkriegen hat die friedlichste Periode in der Geschichte unseres Kontinents ermöglicht. Krieg, Vertreibung und Hunger sind überwunden. Die Europäische Union ist vor allem ein Friedensprojekt, wir wollen sie zur handlungsfähigen Friedensmacht ausbauen. Europa ist aber auch eine demokratische und soziale Wertegemeinschaft. Das europäische Gesellschaftsmodell verbindet wirtschaftlichen Fortschritt, sozialen Ausgleich und individuelle Freiheit. Es setzt Maßstäbe für die Gleichstellung von Frauen und Männern und gewährleistet die Rechte der Minderheiten. Die Sozialdemokratie steht für ein tolerantes Europa, das seine unterschiedlichen Nationen und Regionen, Kulturen und Religionen als Reichtum versteht und pflegt. Wo der Nationalstaat den Märkten keinen sozialen und ökologischen Rahmen mehr setzen kann, muss dies die Europäische Union tun. Die Europäische Union muss unsere Antwort auf die Globalisierung werden.

Die Europäische Union ist eine supranationale Gemeinschaft „sui generis“ der Zusammenarbeit und des Zusammenschlusses souveräner Staaten zu einem Staatenverbund, basierend auf den Menschenrechten und ausgestattet mit eigenen Organen (Parlament, Länderkammer/ Rat, Kommission/ Regierung, Gerichtshof und Rechnungshof sowie einer Zentralbank).

Das ist ein einmaliger Erfolg in der modernen Geschichte!

Trotzdem wird gerade durch den, am 24. Februar 2022 durch Wladimir Putin begonnenen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine deutlich, dass die friedlichste Periode in der Geschichte Europas zutiefst verletzt wurde und Werte, wie Freiheit, Sicherheit und Frieden nicht selbstverständlich sind.

In der Publikation „Parlamentarische Positionen zu Europa“, erschienen im August 2020 der SPD-Fraktion, durfte ich eine Einführung sowie Dokumentation in die Europäische Geschichte und Gegenwart geben. Da zu diesem Zeitpunkt die Corona-Pandemie als historische Herausforderung im Zentrum stand und ein bevorstehender Krieg in Europa noch unmöglich erschien, habe ich mit meinen Worten trotzdem zum Ausdruck gebracht, dass die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sowie Freiheit der Staaten in Europa gegen jegliche Ideologien und nationalistische rechte Bestrebungen, verteidigt werden muss.

Als alte Gefährdung von rechts taucht Nationalismus fast überall im modernen Gewand erneut auf. Ideologien der 1920er und 1930er Jahre leben wieder auf. Fremdenfeindlichkeit ist in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts der letzte Irrtum, dessen Irrweg in den Irrsinn führt. (…)
Zugleich muss die Europäische Union zunehmend Angriffen auf die Rechtsstaatlichkeit widerstehen: Unabhängigkeit der Justiz, Freiheit der Presse und Medien, Schutz von Minderheiten, Entfaltungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft: das ist in allen Mitgliedstaaten Tag für Tag zu gewährleisten.
Jetzt brauchen wir neue Ideen und alte Zuversicht. Eine „Konferenz zur Zukunft Europas“ soll den weiteren Integrationsprozess voranbringen. Robert Schuman sagte vor 70 Jahren in seiner berühmten Rede am 9. Mai 1950 zur Gründung der Montanunion schon visionäres: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ So wollen wir es weiterhin halten.