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„Es geht um die europäische Demokratie“

Rede von Axel Schäfer am Mttwoch, 23. November, im Deutschen Bundestag zu den Beratungen zum Haushalt des Auswärtigen Amtes:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der heutigen Debatte geht es, insbesondere was Europa anbelangt, um eine Frage, über die wir 2010, 2009, 2008, 2007 und davor nie diskutieren mussten.

Es geht nicht mehr um die Frage: Wie werden wir die Vertiefung und Erweiterung der EU gestalten? Jetzt geht es um die Frage: Wie werden wir die EU erhalten? Das ist eine Debatte, die wir in 60 Jahren noch nicht führen mussten. Deshalb muss unsere Debatte in diesem Hause dem auch angemessen sein. Weil das so ist, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP nur an zwei Punkten kritisieren:
Der erste Punkt betrifft das, was Kollege Stübgen zum Thema Griechenland gesagt hat. In Griechenland besteht das Problem zurzeit darin, dass die Vereinbarungen, die unter den Parteien und mit der Troika in Europa getroffen worden sind, von einer Kraft nicht getragen, nicht unterzeichnet werden und deshalb nicht umgesetzt werden können, nämlich von der christdemokratischen Opposition, also von Ihren Parteifreunden. Das ist das aktuelle Problem in Griechenland. Deshalb bitte ich Sie: Reden Sie mit Herrn Samaras. Sie kritisieren auch Herrn Barroso. Auch er ist einer Ihrer Parteifreunde. Sie können doch hier nicht sagen, es gebe bei diesen Themen eine Kakofonie, obwohl es doch letztlich immer um Ihre Leute geht.

Der zweite Punkt. Kollege Stinner, die Rede, die Sie gehalten haben, betraf weniger den Bundestag als die Mitglieder Ihrer eigenen Partei. Ich kann nur hoffen, dass die europäischen Überzeugungen, die Sie hier vorgetragen haben, von den Mitgliedern Ihrer Partei tatsächlich getragen und bei der Abstimmung entsprechend zur Geltung gebracht werden. Denn es ist wichtig, dass wir die FDP an dieser Stelle an Bord behalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir über Demokratie reden: Es geht nicht, dass ein Ministerpräsident in Europa, der die mutigsten Sparmaßnahmen, die es bisher überhaupt gab, und die schwierigsten Einschnitte, die man sich vorstellen kann, vorgenommen hat – dagegen waren Hartz IV und alles andere in unserem Lande nur ein leises Säuseln -, auch von der Bundesregierung beschämt und beschädigt wird. Papandreou hat gesagt: Ich trete vor die Bürgerinnen und Bürger und mache mein eigenes Schicksal von der Volksabstimmung abhängig. – Sie tun so, als wäre es etwas Unrechtes, den Bürgerinnen und Bürgern in einem Volksentscheid die Entscheidung über elementare Fragen zu überlassen.

Ich will auf etwas hinweisen, was in Europa, abgesehen vom luxemburgischen Parlament, wahrscheinlich nur für den Bundestag gilt: Wir haben in diesem Hause seit 40 Jahren bei allen wichtigen, grundlegenden Entscheidungen zur EU bzw. davor zur EG eine Übereinstimmung zwischen den Christdemokraten, den Sozialdemokraten, der FDP und – seit 1983 – den Grünen. Dieses kostbare Gut, dass wir, egal in welcher Konstellation oder Koalition wir waren, dieses Europa gemeinsam entwickelt und vorangebracht haben, müssen wir in der jetzigen Situation erhalten; darum wird es gehen.
Ich bin überzeugt: Wir werden 2012 vor ganz andere Fragen gestellt als vor die, über die wir heute diskutieren. Wir werden nämlich vor die Frage gestellt werden: Ist es tatsächlich vorstellbar, dass die Euro-Zone zusammenbricht, oder können wir das verhindern? Schauen Sie sich bitte die Analysen der SWP und anderer seriöser Wissenschaftler an: Sie stellen Projektionen auf, die uns wirklich Sorge machen sollten. Die Politik muss an der Stelle agieren und darf nicht nur reagieren.
Was Aktion anbelangt, ist Folgendes das Wichtigste – und es ist gut, dass sich Sozialdemokratinnen, Sozialdemokraten und Grüne da einig sind -: Wir dürfen nicht mehr Dinge ausschließen, von denen wir wissen, dass wir sie gebrauchen könnten. Wir müssen auf den Erfahrungen der letzten 15 Monate aufbauen, in denen immer wieder Sachen ausgeschlossen wurden, die dann am nächsten Tag realisiert worden sind. So werden wir in der Europapolitik nicht weitermachen können.

Deshalb müssen wir auch aussprechen, worum es hierbei geht. Es darf nicht ausgeschlossen werden, so wie es heute der Präsident der Europäischen Kommission – wie gesagt: ein Christdemokrat – vorgeschlagen hat: Euro-Bonds, oder wie auch immer man gemeinschaftliche Anleihen nennt. Am Schluss darf natürlich auch nichts ausgeschlossen werden, was die Aktivitäten im Bereich des Geldes bei der Europäischen Zentralbank anbelangt, und zwar nicht, weil die SPD jetzt sagen würde „Prima, möglichst schnell Euro-Bonds!“ oder die Grünen vielleicht sagen würden „Prima, die EZB muss jetzt geldpolitisch tätig werden!“
Die Frage der Notenbank wird dann eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob Europa erhalten werden kann oder zerstört wird. Das müssen wir uns bewusst machen.
In der Situation, in keiner anderen, werden wir sein. Wir sind im Jahre 2012 – zum Glück gibt es da so wenige Wahlen – nicht mehr in der Situation, über ökonomische Dogmen zu reden; wir werden über politische Handlungsfähigkeit reden. Wir müssen weniger, als es heute geschehen ist, über Preise reden; wir müssen mehr über Werte reden. Wir müssen nicht wie die Kanzlerin über Demoskopie reden, sondern über Demokratie.
Um diese europäische Demokratie wird es im Jahre 2012 gehen. Ich kann, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, nur an Sie appellieren: Denken Sie an den Weg, den wir von Mai 2010 bis jetzt, zum November 2011, gegangen sind. Sie mussten alle Vorschläge, die wir gemacht haben, entweder übernehmen oder stillschweigend annehmen. Verschließen Sie sich nicht den Notwendigkeiten des Jahres 2012. Es geht um unser gemeinsames Europa, um das, was uns in dieser Gesellschaft zusammenhält. In dieser Hinsicht werden nicht nur Grüne und Sozialdemokraten, sondern auch Christdemokraten und Liberale in Deutschland wie in ganz Europa ihre Verantwortung anders wahrnehmen müssen, als sie das bisher getan haben.
Wir sind noch in der Opposition, haben aber diese Verantwortung wahrgenommen und werden sie auch in Zukunft wahrnehmen.
Vielen Dank.